Ouray - Ruf der Ahnen (German Edition) by Jutta Wölk

Ouray - Ruf der Ahnen (German Edition) by Jutta Wölk

Autor:Jutta Wölk [Wölk, Jutta]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-05-11T00:00:00+00:00


Mary reichte Abby eine Tasse Kaffee und setzte sich ihr gegenüber. »War sie eigentlich schon tot oder lebte sie noch, als du sie auf der Bank gefunden hast?«, fragte sie mit sorgenvoller Miene. »Schrecklich, nicht wahr?«

Abby nippte an dem heißen Getränk und ließ sich mit der Antwort Zeit. »Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.«

»Du, äh …«, druckste die Köchin. »Ich hab dir doch von der Hexe erzählt …«

Abby stellte die Tasse auf dem Tisch ab und betrachtete ihre Kollegin mit hochgeschobenen Brauen. »Du weißt, wie ich darüber denke.«

Mary bekreuzigte sich dreimal und blickte sich ängstlich um. Dann umschloss sie mit der linken Hand das kleine goldene Kreuz, das sie an einer zierlichen Halskette trug. »Ich habe sie ein paar Mal gesehen, weißt du. Nach meiner Schicht, wenn ich auf dem Weg ins Tal war.«

Abby beugte sich vor. »Es gibt keine Hexen, glaub mir. Wen auch immer du gesehen hast, war bestimmt keine böse Hexe, so wie wir sie aus Märchen kennen und …«

»Du bist nicht von hier«, unterbrach Mary sie und bekreuzigte sich erneut. »Ich weiß, das klingt verrückt, aber Shania und ihre Mutter waren bösartig. Sie haben die Männer im Dorf verzaubert mit ihrer angeblichen Medizin. Meine Mutter und meine Großmutter haben mir einiges über diese Frauen erzählt. Shania hat den Berg zwar verlassen, kommt aber seitdem immer wieder hierher. Wenn es dunkel ist, schleicht sie um die Anlage und beobachtet uns.« Der verängstigte Blick der Köchin richtete sich auf das Panoramafenster. »Vielleicht ist sie jetzt auch da draußen und sieht zu uns herüber. Sie will bestimmt ihr Land zurück.«

»Ihr Land?«, wiederholte Abby.

Mary nickte hölzern und schien mit den Gedanken weit weg zu sein. Sie hielt das goldene Kruzifix mit der Linken fest umklammert. »Sie hat diesen Ort verhext. Ich denke, sie hat die arme Frau umgebracht. Aus Rache!«

Abby seufzte. Sie sah keinen Sinn darin, die Köchin von ihrem festgefahrenen Glauben abbringen zu wollen. Wie sollte sie Mary auch vom Gegenteil überzeugen? Die Frau war an diesem Ort groß geworden und hatte vermutlich eine andere Erziehung genossen als die Menschen in den Metropolen. Little-Yampa war in Marys Jugend ein verschlafenes Nest gewesen. Helen hatte ihr erzählt, dass der Pfarrer jeden Sonntag von seiner Kanzel predigte, der Satan weile unter ihnen, um sie in Versuchung zu führen. In der Provinz tickten die Uhren eben langsamer. In mancherlei Hinsicht begrüßte Abby das, jedoch nicht in Bezug auf übertriebene Angsthascherei.

»Sobald es dunkel ist, kommt sie auf den Berg und starrt zum Hotel herüber. Ich habe sie schon ein paar Mal dabei ertappt, wenn ich abends den Abfall hinausbrachte. Sie steht immer an derselben Stelle zwischen den Tannen, ganz in der Nähe der Bank, auf der Mrs. Greenwood gestorben ist. Sie hat der alten Frau sicher so viel Angst eingejagt, dass die vor lauter Furcht einen Herzinfarkt erlitten hat.«

Abby riss die Augen auf. Marys Worte trafen sie wie ein Schlag in die Magengrube. Zum Glück starrte die Köchin weiterhin aus dem Fenster und bekam nicht mit, wie ihre Hände zu zittern begannen. Schnell legte Abby die Finger unter dem Tisch auf ihre Oberschenkel.



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